Sächsische Zeitung vom 4. Dezember 2018
Die Sächsische Zeitung macht am 4.12.2018 ihr Blatt auf Seite 1 mit dem Titel "Sachsen feiert eine Legende" auf und informiert auf beinahe einer ganzen Seite über "Die Erben der 152"
Sie zitiert den Vorstandschef des Kompetenzzentrums für Luft- und Raumfahrttechnik Göhler, der optimistisch in die Zukunft blickt oder Weltmarktakteure wie die Elbe Flugzeugwerke, IMA Materialforschung oder den Systemzulieferer AOA. Wirtschaftsminister Dulig spricht von 160 Foirmen und Forschungseinrichtungen mit rund 7 000 Mitarbeitern und 1,4 Milliarden Euro Jahresumsatz in der kleinen, feinen und gut vernetzten Branche des Freistaates.
Ebenfalls auf dieser Wirtschaftsseite, unter dem o.g. Beitrag erinnert unser IG-Mitglied, Dipl.-Ing. Konrad Eulitz, in einem gesonderten Artikel an die Anfänge des Flugzeugbaus in Dresden.
Tag des Donners, Staunens und Jubelns
Von Konrad Eulitz*
Es war zwei Tage vor Nikolaus 1958. Ich wohnte damals im Stadtteil Klotzsche und besuchte die 8. Klasse. Als um 11.58 Uhr die vier Triebwerke der „152“ aufheulten, strömten alle Schüler auf den Schulhof. Was sich da unter dem Kürzel DM-ZYA um Jungfernflug anschickte, war immerhin das erste Passagierflugzeug mit Düsentriebwerken, das je in Deutschland entwickelt und gebaut wurde. Der Auftrag: Beurteilung des Flugverhaltens beim Start, in der Platzrunde und der Landung mit ausgefahrenem Fahrwerk und Landeklappen. Die Geschwindigkeit wurde auf 345 km/h und die Höhe auf 1 000 Meter begrenzt.
Nach 35 Minuten des Staunens und Jubelns in und um Dresden setzten Willi Lehmann, Kurt Bemme und Paul Heerling problemlos zur Landung an, und wir Schüler gingen diskutierend zurück in die Klassen. An Unterricht war nicht mehr zu denken.
17 Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren am 22.10.1946 auch etwa 1 500 Spezialisten von Flugzeug- und Triebwerkherstellern in der sowjetischen Besatzungszone mit ihren Familien in die UdSSR deportiert worden – auch ich mit meinen Eltern und Geschwistern. Es waren Wissenschaftler, Ingenieure und Facharbeiter von Junkers, Heinkel, Arado, Siebel, BMW und anderen. Ihr Wissen aus der hochentwickelten Luftfahrtindustrie Nazideutschlands sollte abgeschöpft werden.
Anfang1953 wurden die letzten in der UdSSR verbliebenen deutschen Trieb-werksexperten aus der Nähe von Kuibyschew, jetzt Samara, und die deutschen Flugzeugbauer aus Podberesje, jetzt Dubna 3, im russischem Sawjelowo zusammengeführt. Als lebende Reparation erhielten sie den Auftrag, für die sowjetischen Luftstreitkräfte ein Passagierflugzeug mit Strahltriebwerken zu konstruieren – Typenbezeichnung „15.2“. Ende 1953 wurden die Projekte dazu eingestellt, und 1954 durften die letzten Beteiligten zurück nach Deutschland – in die DDR oder in die BRD.
Bereits 1952 hatte die DDR-Führung beschlossen, eine Flugzeugindustrie aufzubauen. Laut streng geheimer Vorlage der Hauptabteilung 18 eignete sich Dresden mit dem alten Flugplatz der Lufthansa, der einstigen Luftkriegsschule 1 „Herrmann Göring“ in Klotzsche und den nach 1945 nicht mehr genutzten Montagehallen der Daimler Benz AG im nördlichen Industriegelände am besten. Zusätzlich konnten die Gebäude und Hallen auf dem Sonnenstein in Pirna umgerüstet werden. Der 1954 gegründete VEB Entwicklungsbau Pirna wurde das Herz der Entwicklung und Erprobung der Triebwerksreihe „Pirna 014“.
Um den bekannten Ex-Junkers-Konstrukteur Brunolf Baade, bereits in der Sowjetunion Konstruktionschef der „15.2“, bildete sich nach dessen Rückkehr in die Heimat der Kern des DDR-Flugzeugbaus. Die Regierung hatte die Fachleute mit Top- Angeboten und Privilegien gelockt.
Man stelle sich in Klotzsche einen riesigen Bauplatz vor, auf dem zeitgleich eine neue Start- nd Landebahn betoniert, Windkanal, Forschungslabore, Konstruktionsgebäude gebaut und zwei der größten, freitragenden Hallen Europas montiert wurden. Für das gigantische Vorhaben wurden Baade zu Technikchef und Generalkonstrukteur sowie Fritz Freytag zum Chefkonstrukteur berufen, verantwortlich für einen ganzen Industriezweig mit sechs Standorten. Dresden war Entwicklungs- und Versuchswerk und zunächst separat Serienwerk für die „152“ und Iljuschin-14. Die Triebwerke wurden in Pirna entwickelt und in Ludwigsfelde bei Berlin die Serie gebaut – ebenso in Karl-Marx-Stadt, heute wieder Chemnitz, die IL-14-Motoren und Hydraulikgeräte. Schkeuditz war für die Innenausrüstung und Reparatur vorgesehen, Lommatzsch für den Segelflugzeugbau.
Die Entwicklungen für die „152“ und das Triebwerk „Pirna 014“ hatten bereits 1954 begonnen. Um die Belegschaft einarbeiten zu können, technologische Abläufe zu konzipieren und eine Refinanzierung der Kosten zu erreichen, produzierten die Flugzeugwerker aus einer Gestattungsproduktion der UdSSR, 80 Flugzeuge des Typs IL–14 P, ein zweimotoriges Flugzeug, das mit maximal 36 Sitzplätzen oder als Transportmaschine angeboten wurde.
Für die DDR-Oberen war die Luftfahrtindustrie das Prestigeobjekt, um die Überlegenheit des sozialistischen Wirtschaftssystems zu dokumentieren. Nach größeren Problemen bei Entwicklung, Fertigung und Erprobung hatten sie das „Roll Out“ für den Vortag des 1. Mai 1958 terminiert. Letztlich war es gelungen die „152/I V-1“ hallenfertig der Bodenerprobung zu übergeben.
Zur 1. Präsentation gab’s einen Großen Bahnhof. Staats- und SED-Chef Walter Ulbricht hielt vor Tausenden Gästen und Beschäftigten eine Lobrede auf die DDR, das DDR-Fernsehen übertrug die Show. Hätte er gewusst, dass am Flugzeug alle vier Strahltriebwerke fehlten und das Hauptfahrwerk nur eine Attrappe war – aus der Feier wäre eine Katastrophe geworden.
Die gab es dann tatsächlich: Der zweite Flug am 4. März 1959 endete mit einem Absturz – der Anfang vom Ende des DDR-Flugzeugbaus am 28. Februar 1961. Bei der Tragödie starben die vier Besatzungsmitglieder, darunter das Trio vom Erstflug.
* Unser Autor Konrad Eulitz (74), war als Kind eines Luftfahrt-Spezialisten fünf Jahre in der UdSSR und im Berufsleben Abteilungsleiter in der Flugzeugwerft Dresden. Das Mitglied der IG Luftfahrt Dresden hat sich der Historie der deutschen Luftfahrt verschrieben und hält darüber Vorträge.